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Die Einführung der zentralen Wasserversorgung in den Städten und Gemeinden Mittel- und Oberhessens am Ende des 19. Anfang des 20. Jahrhunderts
von Arnulf Kuster aus der Zeitschrift   Denkmal und Kulturgeschichte 3-2014

Die zentrale Wasserversorgung war das Produkt wisseschaftlich-technischer Innovationen, die zugleich gesellschaftliche Prozesse in Gang setzten und eine qualitative Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bevölkerung zur Folge hatte.
Nachdem diese neue Kulturtechnik eingeführt und genutzt wurde, hat sie ihrerseits wissenschaftlich-technische Entwicklungen und Innovationen angeregt und die Produktion von Gütern und Dienstleistungen befördert. Die Dynamik dieser Wechselwirkung soll am Beispiel der mittelhessischen Region aufgezeigt werden.



Die Einführung der zentralen Wasserversorgung fand in Ober- und Mittelhessen im Wesentlichen in der Zeit zwischen 1900 und 1914 statt. Sie wurde befördert und begünstigt durch das Zusammenwirken mehrerer Faktoren, die in der Zeit der "Gründerjahre" nach der Reichsgründung 1871 wirksam werden konnten. Das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sich beschleunigende Bevölkerungswachstum in den Städten und auf dem Lande und die zunehmende Industralisierung und Mechanisierung stellten neue Anforderungen an die Wasserversorgung, welche die alten öffentlichen und privaten Brunnen nicht mehr leisten konnten.  

Dazu zählten Versorgungssicherheit, individuelle Verfügbarkeit, Zeitersparnis und eine wesentliche Verbesserung der hygienischen und gesundheitlichen Verhältnisse. Die zentrale Wasserversorgung trug somit wesentlich zur dynamischen Weiterentwicklung der Städte und Gemeinden um die Jahrhundertwende bei.

Es lohnt sich heute, den in vielen Ortschaften und Städten unserer Region noch vorhandenen Wasserhäusern, Hochbehältern, Wasserwerken und Wassertürmen besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, den sie sind Zeitzeuge einer bedeutenden technischen und sozialgeschichtlichen Entwicklung, die das Leben der Bevölkerung wesentlich beeinflusste und veränderte.

Die zentrale Wasserversorgung war nicht nur eine technische Neuerung. Mit deren Einführung veränderte sich auch die sozialen Beziehungen der Menschen untereinander, zuerst in den Großstädten und nachfolgend auch in den Städten und Gemeinden auf dem Lande. Bestand die Bedeutung der Brunnen für das bisherige Leben noch darin, dass das Wasser der öffentlichen Brunnen Allgemeingut war und die Tätigkeit des Wasserschöpfens von allen Bürgern je nach Bedarf gleichermaßen ausgeführt und weitgehend kostenfrei beansprucht werden konnte (Brunnengeld, Pauschalabgabe), so wurde mit der Verlegung der Wasserleitung in die privaten Haushalte aller Bürger sowahl der Vorgang des Wasserzapfens als auch die Abrechnung des Wassergeldes aus der Öffentlichkeit in die Privatsphäre hinein verlegt und somit individualisiert.

Jetzt musste jeder Haushalt einen Antrag bei der Gemeinde- bzw. Stadtverwaltung stellen, damit er seinen Wasseranschluß installieren durfte. Die verbrauchte Wassermenge wurde exakt über Wassermesser abgelesen und jeder Haushalt erhielt eine amtliche Abrechnung. Damit wurde die private Wasserentnahme der professionellen Aufsicht der kommunalen und städtischen "Wasserwerke" und der Nutzungs- und Gebührensatzung der Gemeinde- und Stadtparlamente unterstellt. Die Wassergebühren wurden jetzt von den Gemeindeparlamenten in der "Wassersatzung" festgelegt und nicht mehr wie bisher mit den Brunnengemeinschaften und Stadtvierteln ausgehandelt.

Für die Verständigung über die Art und Weise der Wasserversorgung war dieser Unterschied wesentlich. Das bisher allgemein verfügbare, weitgehend kostenlose "Gut Wasser" aus den öffentlichen Brunnen stllte für alle Bürger eine formale Gleichstellung dar. Soziale Unterschiede spielten dabei kaum eine Rolle. Demgegenüber stellte die durch Gemeindeverordnung festgeschriebene Regelung der privaten Nutzung pro Haushaltsgräße (Anzahl der Personen und Tiere) eine genaue Erfassung der Haushalte und des Bedarfes dar.

Mit dem Bau der zentralen Wasserleitung waren die bisherigen sozialen Funktionen der Brunnengenossenschaften, wie Brunnenabgabe zahlen, Brunnenfegen, die Wasserqualität kontrollieren, Wassermengen bei Versorgungsengpässen zuteilen, Brunnenfeste organisieren etc. überflüssig geworden. Die bisher vorwiegend von der Gemeinschaft geregelten und kollektiv wahrgenommenen Aufgaben der Wasserbeschaffung und deren Verteilung wurden zu einem technisch kontrollierbaren und professionell geregelten Prozess. Die darür erforderlichen Anlagen und Maschinen (Pumpen, Motoren) an den "Wasserwerken", die der Öffentlichkeit nich mehr zugänglich waren, wurden jetzt von Technikern (Wassermeistern) bedient und gewartet. Der Wassermeister musste bestimmte Qualifikationen erfüllen und erhielt für seie Tätigkeit eine geringe finanzielle Entlohnung sowie weitere Vergünstigungen, wie die Nutzung von Wiesen, Zuteilung von Holz, Schafen, Ziegen oder Nahrungsmittel.  

Die technischen Veränderungen und Professionalisierung der Wasserversorgung bedeutete für die bisher gesellschaftlich in den Orts- bzw. Stadtvierteln geregelten Verfahrensweisen der Wasserverteilung und für die zu deren Kontolle bestimmten Personen und Gemeinschaften einen Funktions- und Ansehensverlust. Damit einher ging auch die lokale Bedeutung der Brunnen als Treffpunkt für Sozialkontakte und Kommunikation verloren. Die sozialen Auswirkungen dieser technischen Veränderung betraf die ländliche Bevölkerung stärker als die städtische, die schon, zeitlich früher,  im Verlauf der Industrialisierung der Städte individualisierte arbeitsteilige Formen der beruflichen Existenzsicherung kennen gelernt und die Trennung von öffentlichem und privatem Bereich in ihre Lebensführung übernommen hatte.

Der Wegfall der Brunnenversorgung hatte zur Folge, dass auch die damit verbundenen Rituale und Begegnungen infrage gestellt wurden. Insbesondere für junge Leute wurde es damit schwierig, Verabredungen zu treffen, die bisher im öffentlichen Leben durch das allseits als notwendig anerkannte Wasserschöpfen an den Brunnen in gewisser Weise legitimiert wurde. Es bedurfte jetzt überzeugender Argumente und gezielter Verabredungen und Anlässe, wenn sich Jugendliche auf dem Lande außerhalb der sozialen Kontrolle, die an den dafür traditionell vorgesehenen Treffpunkten, wie Spinnstuben und Vereinslokalen stattfand, begegnen wollten.

Die sozialen Bedürfnisse des ungezwungenen Treffens, Verabredens und Feierns blieben aber bestehen. Somit mussten dafür neue Formen entwickelt und neue Orte gefunden werden.  Als neuer Treffpunkt bot sich das Wasserhaus an. Die Lage der neuen Wasserhäuser und Wassertürme auf einer Anhöhe am Rande der Ortskerne war hervorragend für Freizeitaktivitäten, Verabredungen und zufällige Treffen der Jugend geeignet. Kinder konnten auf dem Hügelgelände der Wasseranlage herumtollen, Fangen spielen und im Winter den Abhang des Berges, auf dem das Wasserhaus stand, bis ins Dorf hinunter Schlitten fahren. Für die Jugendlichen bestand die Attraktion des Wasserhauses vor allem darin, sich heimlich zu treffen und "verbotene"  Dinge, wie Rauchen und Knutschen zu erproben. Anderseits waren aufgrund des weiteren Weges vom Dorfkern zu den Wasserhäusern Verabredungen und Begegnungen auch schwieriger durchzuführbar als bisher, wo der Gang zum Brunnen nur "um die Ecke" war.

Die Treffen am Wasserhaus fanden freiwillig und losgelöst vom üblichen Berufs- und Sozialleben statt, welches von der Notwendigkeit der alltäglichen zweckgebundenen Tätigkeit der Lebensvorsorge bestimmt wurde. Daher war die Akzeptanz für alltägliche Treffen und Kommunikation in der Öffentlichkeit an diesem "frei zugänglichem Ort" zunächst erschwert. Das öffentliche soziale Leben rund um das Wasserhaus musste ebenfalls neu organisiert und arrangiert werden. Dazu boten sich insbesondere die weltlichen und kirchlichen Feste an. So wurden an den Wasserhäuschen und Wassertürmen Fest- und Feierplätze eingerichtet, auf denen jahreszeitliche Feiern, wie Kirchweih und Sonnenwendfeiern, abgehalten wurden.

Die exponierte Geografische Lage des Wasserhauses, bot für die örtlichen Besucher eine besonders schöne Aussicht auf "ihren Ort" und die sie umgebende Mittelgebirgslandschaft Hessens. Der von den Sorgen der Arbeitswelt befreite Blick bewirkte, dass die Bevölkerung die Lage des Wasserhauses als etwas Besonderes empfand. So ist zu erklärlich, dass man vielerorts an dieser markanten Stelle auch eigene Wasserfeste veranstaltete, die in einigen Ortschaften heute noch stattfinden bzw. wieder eingeführt wurden. Durch die neue Sinngebung und Belebung dieses öffentlichen Platzes durch Feiern und Feste kam auch die allgemeine Anerkennung zustande. In der Erinnerung vieler älterer Menschen sind diese Eindrücke lebendig geblieben.  Daher ist es verständlich, dass sie diesen Ort immer noch Wert schätzen und sich auch für den Erhalt und Ausgestaltung einsetzen.



Die rasche landwirtschaftliche, handwerkliche und kleinindustrielle Entwicklung in den Großstädten und auf dem Lande in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts führte zu einem Anstieg des Wasserbedarfs. Der Bau neuer verkehrs- und kommunikationstechnischer Einrichtungen (Eisenbahn, Straßen) beschleunigte den Austauschprozess zwischen Stadt und Land zusätzlich. Das Entstehen von Manufakturen und kleinindustriellen Betrieben, wie Weberei, Spinnereien, Färbereien, Tuch- und Zigarrenfabriken in den ländlichen Kleinstädten und Gemeinden erforderte einen wesentlich höheren Wasserverbrauch als noch Anfang des 19. Jahrhunderts. Die mit dem Anstieg der Bevölkerung wachsenden Handwerksbetriebe (Schuhmachereien, Schlossereien), ebenso wie die zahlreichen örtlichen Brauereien, Gasthäuser und Einzelhandelsgeschäfte (Eisenwaren, Lebensmittel) benötigten zudem ständig verfügbares Brauch- und Trinkwasser. Die auf dem Lande dominierende Landwirtschaft hatte den stärksten Wasserverbrauch.

Die Verbesserungen der Lebensverhältnise, d. h. der Arbeits- und Wohnbedingungen in den rasch wachsenden Städten und Gemeinden, ab der Mitter des 19. Jahrhunderts zeigte sich vor allem im Wohnungsbau und im Lebensstil der Bürger in den Großstädten. Der gestiegene Anspruch an Wohnkomfort und Hygiene schloss eien gesicherte Versorgung mit gutem Trinkwasser, welcheszu allen Jahreszeiten ausreichend zur Verfügung stand, mit ein. Damit verbesserten sich auch die gesundheitlichen und hygienischen Lebensbedingungen deutlich. Erweiterte medizinische und hygienische Kenntnisse führten zu einer Verbesserung des Gesundheitswesens und der alltäglichen Hygiene. In den neu gegründeten Hygieneinstituten wurden Methoden zur mikrobiologischen Wasseruntersuchung durchgeführt, die zur bakteriologischen Bestimmung der Wasserqualitüt führten. Damit konnte die Erreger der Typhus- und Choleraerkrankungen im Trinkwasser gefunden und Medikamente zu deren Abwehr und Methoden zur Reinigung des Wasserers entwickelt werden. Die dadurch erzielten Verbesserungen der Wasserqualität hatten zur Folge, dass der Wasserverbrauch rasch anstieg.

Der erleichterte Zugang zum Wasser veränderte auch die Einstellung der Bevölkerung i Umgang mit dem Wasser selbst. Es entwickelte sich ein neues Bewusstsein für den täglichen Gebrauch des Wassers in Bezug auf Körperpflege und Hygiene. Das erweiterte Reinlichkeitsbedürfnis der Bevölkerung in den Städten und Gemeinden hatte Konsequenzen für die Innenausstattung der Häuser und Wohnungen, wo Bäder, Duschen, Toiletten mit Wasserspülung und Waschbecken mit fließendem Wasser eingeplant bzw. neu installiert wurden. Der neue "Komfort" wurde zunächst nur in den wohlhabenden bürgerlichen Stadtvierteln eingeführt und bewirkte eine weitere soziale Differenzierung in der Bevölkerung. Zu der Wohnlage wurde als weiteres Unterscheidungsmerkmal die Ausstattung der Häuser bzw. Wohnungen mit oder ohne sanitäre Einrichtung und Anschluss an die zentrale Wasserleitung von Bedeutung.

Für die Stadt Wiesbaden ist eine soziale Differenzierung im privaten Wasserverbrauch deutlich erkennbar, indem für die Geschäftsstraßen 52 l, für die Straße armer Leute 25 l, für den Mittelstand 30 l, für die Wohlhabenden 63 l, für die Landhäuser (der Wohlhabenden) 125 l pro Person und Tag ausgewiesen werden. In den Mietshäusern und Etagenwohnungen vor allem in den ärmeren Wohnvierteln der Großstädte um 1900 (München, Hamburg, Frankfurt/M) gab es, wenn überhaupt, nur einen Wasseranschluss pro Etage 8Zapfstelle). Dieser lag außerhalb der Wohnungen meist im Treppenhaus der Zwischenetage, ebenso wie die Etagentoiletten mit Wasserspülung. Mehrere Mietparteien mussten sich hier Wasseranschluss und Toiletten teilen.

 Auch in den hessischen Mittel- und Kleinstädten waren die meisten Mietshäuser, wenn überhaupt, nur mit Etagentoiletten und Etagendusche ausgestattet. In vielen Gebäuden gab es keine Dusche- bzw. Badeeinrichtung. Die Bevölkerung nutzte die öffentlichen Hallenbäder, die Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut worden waren und heute zumindest teilweise wieder eine Wertschätzung erfahren. In Darmstadt wurde das 1907 erbaute Jugendstilbad renoviert und im Jahr 2008 wieder eröffnet. Das in Friedberg 1908/09 gebaute Jugendstilbad, bis 1980 genutzt, wurde von einer Bürgerinitiative vor dem Abriss bewahrt und ist seitdem als Kulturdenkmal geschützt. Es soll wird nach dem Umbau 2012 als Kulturhaus genutzt. Die Gießener Jugendstilbad wurde in den fünfziger Jahren zugunsten eines Kaufhauses abgebrochen. Das Luisabad in Marburg, ein ebenfalls historisches Gebäude, musste 1997 einem Bankgebäude weichen.  


Die neue Wassertechnik, die mit der zentralen Wasserleitung in Gang gesetzt wurde, erhöhte die Nachfrage nach Produkten der Eisen verarbeitenden Industrie. Zum einen mussten für die Verlegung der Rohrleitungen in den Städten und Gemeinden, für die Installation der neuen Technik in den Hochbehältern und für die Hausanschlüsse neue Maschinen, Dampfkessel, Rohrleitungen, Verbindungsstücke, Wassermeister etc. in großer Stückzahl produziert werden. Zudem wurden mit der Einrichtung der Bäder und Toiletten in den privaten Haushalten jetzt emaillierte gusseiserne Badewannen, Waschbecken, Duschen etc. verlangt.

Im mittelhessischen Raum lieferte Buderus im Jahr 1909 die gusseisernen Röhren und Formstücke für die Fernwasserleitung von Inheiden nach Frankfurt/M., die 15.500 Tonnen wogen, "ein Gewicht, das der Tragfähigkeit von 15 langen Eisenbahnzügen mit je 50  20 Tonnen Wagen entspricht". Die Leitung besteht aus Rohren mit 70 cm Durchmesser und ist 42,6 km lang. Die Produktionssteigerung im Gießereibetrieb der Firma Buderus war vorrangig der flächendeckenden Einführung der Wasserleitung zu verdanken.

Der Bau der Wasserleitung führte zu öffentlichen Ausschreibungen der Städte, Kreise und Gemeinden und brachte zahlreiche Aufträge für die Eisenwarenindustrie und das ortsansässige Handwerk. Im Grünberger Anzeiger des Jahres 1895 findet man unter der Überschrift "Wasserwerk der Stadt Grünberg i.H." zahlreiche Ausschreibungen der Stadt Grünberg für Zimmerleute, Schreiner, Spengler, Maurer. In der Folge stellen sich z. B. die Geschäfte von Spenglern und Installateuren rasch auf die neuen hygienischen Ansprüche und Bedürfnisse der Bevölkerung ein. In Anzeigen der Heimatzeitungen werben sie für Bäder, Klosetts und sanitäre Anlagen. Die Einführung der zentralen Wasserversorgung förderte in erheblichem Umfang das Wirtschaftsleben in der mittelhessischen Region. Hierbei wird deutlich, wie eine technische Innovation wie die Wasserleitung die Warenproduktion befördert sowie den Handel, die Geschäfte und den Arbeitsmarkt.



Die besondere Bauweise und Architektur der Wasserhäuser leitet sich zum einen aus der technischen und wirtschaftlichen Funktion, zum anderen aus einem für die Zeit des Überganges vom 19. zum 20. Jahrhundert typischen Architekturstil für öffentliche bzw. repräsentative Gebäude ab. Die meisten Wasserhäuser, die um die Jahrhundertwende entstanden, sind im Stil des Historismus sowie im Jugendendstil gebaut worden. Man übernahm diese bereits bekannten Bauformen und schmückte sie mit ortsbezogenen Stilelementen und Ornamenten aus.

Die Bauform der Wasserhäuser in unserer Region besteht aus runden, rechteckigen, quadratischen, pyramidalen, gedrungenen und gestreckten Baukörpern. Typisch für die Wasserhäuser in Ober- und Mittelhessen sind die Ausführung in grob behauenem Naturstein der Frontseite und der Seitenflügel. Als Gestaltungselemente treten glatte oder behauene Mauerabdeckungen, teilweise mit gekröpften Seitenkanten hervor. Dabei fällt die Symmetrie des Gebäudes auf.

Das Baumaterial der Wasserhäuser, grob behauener Naturstein, stammt aus den Steinbrüchen der jeweiligen Region. Folglich sind die Wasserhäuser im Vogelsberg- entsprechend ihrer geologischen Beschaffenheit - aus Basalt und in der Wetterau und im Ebsdorfergrund sowie im Odenwald aus Buntsandstein gebaut. Die Architektur der Wasserhäuser zeichnet sich als eine Art "Schutzarchitektur" aus, die wesentliche Stilelemente einer mittelalterlichen Schutzburg trägt.

Schon das massive Mauerwerk aus grob behauenen Natursteinen der Fassade sowie der weit ausgreifenden Seitenteile, die den Druck des aufgeschütteten Erwalls über den beiden Wasserkammern abfangen sollen, bringt diese Schutzfunktion zum Ausdruck. Bei einigen Wasserhäusern sitzen an den beiden Enden des Mittelteils sowie auf den auslaufenden Enden der Seitenflügel kugelförmige Steine, die den  Mauerabschluss bilden. Diese symbolischen Wächter sollen das kostbar Gut "Trinkwasser" vor  unbefugten Eindringlingen schützen.

Der Eindruck des Wasserhauses als Burganlage wird verstärkt durch Zinnen und Ecktürme. Das Brunnenhaus in Mainzlar ist in Form eines quadratischen, das in Trais, nahe Staufenberg, in Form eines kreisrunden Wehrturms gebaut. Beide Brunnenhäuser sind denkmalgeschützt und erhielten Preise für vorbildliche Restaurierung. Die Wassertürme Climbach, Berstadt und Reinhardshain gleichen in Form und Material (Basaltstein) den mittelalterlichen Wehrtürmen der Münzenburg in der Wetterau. Tierfiguren, wie die Löwenköpfe an der Obbornquelle in Obbornhofen und auf den beiden Flügeln der Eisentüren des kürzlich abgebrochenen Licher Wasserwerkes von 1911, haben die gleiche Schutz- und Schmuckfunktion. Eine schöne Symbolfigur ist die etwa 50 cm große Steineule auf der Fassade des Krofdorf - Gleiberger Wasserwerkes. Sie richtet ihren Blick von ihrem hoch gelegenen Standort unterhalb der Burg auf den Gleiberg.

Auch die Darstellung von Tierfiguren in Stadtwappen, wie der Widderkopf, das Stadtwappen von Buseck-Beuern, welches auf einem Steinfries über der Eingangstüre des Wasserhauses in Beuern dargestellt ist und der Kranich, das Wappentier von Leihgestern auf der neuen Eingangstür des renovierten Wasserhauses in Leihgestern sind typische Beispiele. Kunstvoll geschmiedete Eisenbänder und Türschlösser auf den schweren Eichen-bzw. Eisentüren sollen den Eingang zur "Wasseranlage" schmücken und sichern. Die befestigten Türen verstärken zusätzlich den Eindruck einer bewehrten Anlage.

Die Steinmetze und Dorfschmiede haben die Formensprache ihrer Werkstücke, die sie an den Wasserhäusern anbrachten, teilweise von Sakralhauten übernommen z. B. Oculi mit Strahlenkranz, gotische Fenster, verzierte Schlusssteine mit Jahreszahlen. Die Ziersteine und Schrifttafeln an den Wasserhäusern sind aus einem vom übrigen Bauwerk unterschiedenen Stein und heben sich optisch in Form und Farbe von diesem deutlich ab. Viele Schmuckformen stammen aus Musterbüchern, die den damaligen Handwerkern, Schreinern, Tischlern (Intarsien), Schmieden, Schlossern oder Steinmetzen zur Verfügung standen. Die Kenntnis dieser Mustervorlagen gehörte um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert zur Berufsausbildung der Handwerker, deren Beherrschung und stilvolle Anwendung zur Berufsqualifikation zählten.

Die Ausgestaltung der Wasserhäuser trug dementsprechend die "Handschrift" der ortsansässigen Handwerker, deren individuelle, mit Sorgfalt angefertigte Arbeiten gesellschaftlich anerkannt und wertgeschätzt waren. man wollte die Formensprache der nachfolgenden Generation vermitteln und war sich bewusst, dass diese Gebäude "Zeitzeugen" sind und über die Lebenszeit der Gründer hinaus Bestand haben sollte.

Konnten die Baumeister noch davon ausgehen, dass ihre Symbolsprache allgemein verstanden wurde, so können wir heute diese Zeichen nicht mehr ohne weiteres entschlüsseln. Die damals mit Bedacht gewählten Verzierungen muten uns heute wie verspielte Accessoires an. Es bedarf daher, wie auch bei den früheren Sakralbauten, der fachkundigen Erklärung. Die Übernahme historisch bekannter Formen war Ausdruck des Zeitgeschmacks für herausgehobene besonders geschätzte Bauwerke. Diese spezifische Architektur der Wasserhäuser mit Schmuckelementen von symbolischem Charakter hebt sich für den Betrachter heute von den späteren Bauformen der "Zweckmäßigkeitsarchitektur" der nach 1945 bis heute gebauten Wasserhäuser deutlich ab. Vielleicht ist es diese historische Besonderheit, die heutigen Betrachtern wieder die Architektur der Wasserhäuser nahe bringt uns sie als typisch und einmalig erleben lässt.


 
In jüngster Zeit hat das Interesse an der Industrigeschichte und an der Erforschung industriegeschichtlicher Anlagen und Denkmäler, speziell an der Restaurierung der historischen Wasserversorgungsanlagen, in Hessen an Bedeutung zugenommen. Das ist ein relativ neuer Prozess, der nachholt, was lange Zeit zuvor versäumt worden war. Die Bereitschaft, historische Wasserversorungsanlagen zu erhalten und zu restaurieren geht primär von den Bürgern der Ortschaften aus, in denen solche erhaltenswerten Anlagen stehen. Diese Bürger engagieren sich in den örtlichen Heimat- und Geschichtsvereinen sowie Naturschutzbünden und Bürgerinitiativen für den Erhalt und die Pflege der Wasseranlagen aus Gründen des Denkmal- wie des Naturschutzes. Sie sorgen für die fach- und stilgerechte Restaurierung der Gebäude und die Instandsetzung der technischen Anlagen (Wasserräder, Laufräder, Pumpen), damit die Bevölkerung deren ursprüngliche technische Funktion und gesellschaftliche Bedeutung wieder verstehen kann. 

Diese ehrenamtlichen Mitarbeiter, die sich in die Technik und Thematik der Wasseranlagen eingearbeitet haben, organisieren auch Führungen durch die Anlagen in Verbindung mit Ausstellungen der noch vorhandenen bzw. erneuerten Wassertechnik. Gelungene Beispiele aus jüngster Zeit (2009/10) kann man in Ober- und Mittelhessen in Hofheim am Taunus, Leihgestern, Gießen-Allendorf oder Södel (Wetterau) finden, wo auf Betreiben von Bürgerinitiativen und Ortsvereinen (NABU), Heimat- bzw. Geschichtsvereine) die historischen Wasserhäuser unter Denkmalschutz gestellt und restauriert wurden. Ds historische Wasserhaus von 1907 in Leihgestern wurde fachgerecht saniert und 2010 unter reger Beteiligung aller Ortsvereine und vieler Bürger feierlich eingeweiht.

Es wurde erreicht, dass das Wasserhaus in die Denkmaltopographie des Landkreises als Industriedenkmal eingetragen wurde. Es wäre wünschenswert, wenn diese gelungenen Beispiele Ansporn für weitere Gemeinden wären, ihren bisher noch wenig beachteten historischen Wasserhäuschern die gleiche Anerkennung und Bedeutung zukommen lasssen und sie als Industrie- und Kulturdenkmal zu schützen. Dies gelingt aber nur, wenn sich Bürger finden, die sich für den Erhalt und die Pflege des Gebäudes engagieren. Das jüngste Beispiel der gelungenen Sanierung und Restaurierung von Wasseranlagen stammt aus Hofheim/Taunus, wofür die Stadtwerke Hofheim im Jahr 2011 mit dem Hessischen Denkmalschutzpreis ausgezeichnet wurden.

Ausblick: Die historischen Wasseranlagen und Hochbehälter könnten heute einer neuen Funktion und Nutzung im Rahmen von Landschaftsgestaltung und Freizeitangeboten zugeführt werden. Ihre kulturhistorische Bedeutung als Industriedenkmäler sollte dabei im Mittelpunkt stehen. Die Einbeziehung der geografisch exponiert gelegenen Wasserhäuser (Aussichts-, Rastplätz) in die mobile Freizeitgestaltung könnte einen bedeutenden Beitrag für eine Aufwertung der Wasserhäuser in den Städten und Gemeinden Mittel- und Oberhessens liefern.  So ist auch zu hoffen, dass der entgegen den Forderungen des Denkmalschutzes und gegen den Willen der Anwohner teilweise abgebrochene und vom endgültigen Abbruch bedrohte Wasserhochbehälter in Büdingen erhalten und der zugehörige Aussichtspavilon rekonstruiert werden kann.

Quellennachweis: Denkmalpflege & Kulturgeschichte 3-2014
rem 10-2014