© Heimat und Geschichtsfreunde Rommerz

 Schwoaze Beer, Heidelbeeren von Erwin Rübsam

 Die Wochen des Hochsommers bescheren den Freunden der Waldfrüchte mit den Heidelbeeren alljährlich ein besonderes Geschenk. Im Sprachgebrauch von uns Rommerzen werden sie "schwoaze Beer" genannt, die über etliche Tage hinweg von Jung und Alt mit flinken Fingern gesucht, d. h. gepflückt werden.

Die lange Tradition dieser wohlschmeckenden wie sehr gesunde Waldfrucht zu sammeln, ist heutzutage gleichsam out, da in den Medien Förster unentwegt auf die entsetzlichen gesundheitlichen Folgen, verursacht durch den Fuchsbandwurm und die Zecke, in Rommerz "Holzbock" geheißen, hingewiesen wird.

In den Nachkriegsjahren wurde die Heidelbeere als köstliche Speisezutat überaus geschätzt. Auch Himbeeren und Brombeeren, eher in Schonungen und Heckenbereichen anzutreffen, standen hoch im Kurs.

Für uns Dorfkinder war es geradezu selbstverständlich und elterlicher Auftrag obendrein, die Ferientage für das Heidelbeerpflücken zu nutzen. Die Gemeinde Rommerz, ein wahres Wald Dorf, nur von Giesel und Buchenrod bezüglich ihrer Wald nähe übertroffen, kann mit den Distrikten am Hahl, Remerz und Trommberg, im Lütz und an der Harth auf beste Areale für die Ernte der vitaminreichen Beerenfrüchte verweisen. So ergaben sich in vielen Jahren Ernteerträge, die sich zu vielen Zentnern summieren. Bedauern und Besorgnis waren groß, wenn die Natur den Waldläufern weniger hold war.

Zum morgendlichen Aufbruch in die ausersehenen Reviere kamen Nachbarn, Verwandte und Freunde zusammen. Da es immer wieder rivalisierende Grüppchen und Konkurrenten gab, musste man schleunigst aus dem Blickfeld verschwinden, um möglichen Ausspähern zu entgehen. Um zu täuschen, wurden Umwege in Kauf genommen. Wo gehen "die" denn hin? Haben "die" einen besonders guten Beerplatz? Wichtige Frage!

Also ging`s los in den Wald! Waldfreundliche Kleidung war angesagt. Die Utensilien: Brechdöppchen mit Seil oder alter Krawatte, Kanne, Körbchen, Eimer oder Eimerchen, vielleicht auch mal einen "Beerkämmer", karges Frühstücksbrot. Wehe, wenn Regen aufkam! Am Zielort schwärmten die "Sucher" aus, doch blieb man in Sicht- bzw. Rufweite. Der unausgesprochene Wettbewerb des Pflückens setzte ein. Traf man auf ein besonders gutes Plätzchen, so hieß es: "Alles schwoaz"! Hin und wieder waren fragende Rufe zu vernehmen: "Wie viel hast du?" Die mehr oder weniger ehrliche Antworten konnten lauten: "Bure bedockt, vertels, halfer, dreiviertels, gleich vool!"

Leicht fiel uns die "Suche" nicht. Ständiges Bücken, flinke Handarbeit und Ausdauer waren angesagt. Selten landeten Beeren im Mund, zerquetschte bläuten und nässten die Finger. Blätter und unreife Beeren wurden sorgfältig aussortiert. Nicht immer fand des Tages mühevoller Arbeit das Wohlgefallen des Schöpfers, wenn so manches Töpfchen halb leer oder gar völlig leer geblieben war. Zur Vermeidung von Spott oder Kritik wurde gerne getäuscht. So wurden leere Gefäße mit Moos gefüllt und oben mit einer dünnen Beerenschicht abgedeckt. Problem gelöst per Täuschung.

Die Verarbeitung des Sammelgutes lag in den Händen unserer Mutter. Hauptsächlich wurden die Beeren eingemacht, d. h. eingekocht. So gab es Abwechslung  in der Ernährungslage während der kalten Jahreszeit. Köstlich mundeten die Mahlzeiten, heute kaum noch im Speiseplan der Familien angeboten: Grießbrei, Reisbrei, Haferflockenbrei jeweils mit Heidelbeeren oder auch Himbeersaft. Weitere Produkte von der "Königin des Waldes" kamen als Heidelbeersaft, Gelee, Marmelade oder gar als Heidelbeerwein auf den Tisch.

Beträchtliche Heidelbeermengen waren in den Nachkriegsjahren ein willkommenes Handelsgut. Ich erinnere an die Annahmestellen bei Mecktesch und Pöresch. Fünfzehn Pfennig pro Pfund war seinerzeit ein Spitzenpreis, während acht Pfennig pro Pfund  als unterstes Limit galten. Jedenfalls summierten sich die Pfennige bei Ablieferungen über Tage hin zu Markbeträgen, die es alsdann ermöglichten, sich bei Kerbesch in Fulda bescheidene Wünsche zu erfüllen.

Im Verlaufe der "Beerzeit" schälten sich wahre "Spitzenpflücker" heraus. Sie wurden mit dem Prädikat " Beerförster" geadelt, während nachgeordnete Vasallen als "Beerheinz" bzw. als "Beerziess" tituliert wurden.

Eines schönen Sommertages kurz vor den Ferien begab es sich, es muss im Jahre 1949 gewesen sein, dass uns unsere Lehrer klassenweise ins Lütz zum Heidelbeersuchen führten. Da der Unterricht ausfiel, hatten wir Waldzwerge keine Einwände und pflückten - mehr oder weniger motiviert -"schwoaze Beer" für die Lagerhaltung unserer Pädagogen. Ungeachtet der Rechtswidrigkeit des Unterrichtsausfalls füllten sich mehrere Eimer mit den leckeren Waldfrüchten. Wer von den "Siebzigern" in Rommerz erinnert sich noch an diesen vermeintlich pädagogischen Einsatz?

Heutzutage werden die Heidelbeeren in Schalen im Supermarkt gekauft. Die Früchte sind gen-prächtig groß und wachsen unter Glas auf Plantagen in Spanien, Italien oder Griechenland.

Meine Erinnerungen wären ganz und gar wenig wert, wenn ich nicht auf die Köstlichkeit des Heidelbeerkuchens zu sprechen käme. Unübertroffen sein Genuss mit Zucker und Zimt! Für dich gehe ich auch heute noch in den Wald und bleibe den blau-schwarzen Beeren treu wie einst in der Zeit meiner Kindheit.