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Das Jahr 1948 in russischer Gefangenschaft!

Das Jahr 1948 hatte für uns angefangen mit einer Ungewissheit, kommen wir noch nach Hause oder nicht?

Auf jeden Fall habe ich mich immer bemüht zu arbeiten, so gut ich konnte. Die Malaria-Anfälle machten mir viel zu schaffen. Ich war des Öfteren im Hospital – Tiflis. Dort war ich ja kein Unbekannter mehr. Im Lager Deduwe 7236/3 Tiflis war ich jetzt nicht mehr so allein. Von meiner Einheit war keiner da, auch habe ich in den Jahren keinen von der 111. Infanterie-Division getroffen. Mein Landsmann Willi Wehrmacker besuchte mich sehr oft und brachte mir Brot und Obst mit, welches er in der Stadt gegen Zucker, Tabak und Seife, die er schon entbehren konnte, getauscht hatte.

Anfang Mai 1948 wurden wir in das Lager Dwiri 7236/6 im Kaukasus verlegt. Die Fahrt führte uns durch eine schöne Gegend im Kaukasus, vorbei an „Stalins Geburtsort“. Dieser wurde von den Wachmannschaften besonders erwähnt. In Dwiri gab es zwei deutsche Gefangenenlager, ein Wehrmachts- und ein Zivillager. Wir wurden zum Tunnelbau eingesetzt – es war eine sehr schwere Arbeit. Im Juni bin ich bei 40 ° C in der Mittagszeit auf der Baustelle mit Schüttelfrost zusammengebrochen. Nach Arbeitsschluss wurde ich in das Krankenrevier gebracht und gut gepflegt. So wie es wieder einigermaßen möglich war, habe ich die Arbeit wieder aufgenommen. Nur nicht im Krankenrevier liegen und das Jammern und die Wunschträume einiger Kameraden täglich hören. Diese hatten Tabak und verschiedene Kräuter gegessen um nur nicht arbeiten zu wollen und hofften so, früher nach Hause zu kommen. Es war aber nicht der Fall, viele sind an dieser Ernährung gestorben. Nach einigen Wochen Arbeit musste ich zur Lagerleitung kommen. Dort wurde mir dann mitgeteilt, dass ich für meine gute Arbeit und des Willens - trotz Malaria - 8 Tage Urlaub bekäme. Der Urlaub war im Lagerumkreis, in Sichtweite, in einer extra Baracke mit überzogenen Betten. Ein Traum mit guter und reichlicher Verpflegung. Vom Hauptlager Tiflis kam in dieser Zeit ein Verpflegungskommando mit Proviant. Von einem Posten wurde ich gerufen – ein Gruß von Kamerad Willi und fünft Brote bekam ich. Die Freude war groß. So konnte ich einigen Kameraden von diesem Brot geben. In diesem Lager war eine bessere Atmosphäre wie in den vorhergehenden Lagern in Tiflis. Eine Theatergruppe war gegründet und nun wurde an besonderen Tagen ein Stück aufgeführt. Da unsere Behandlung seitens der Lagerleitung und Wachmannschaften immer besser wurde, konnten wir auch unsere Wünsche vortragen. Wir sollten sonntags auch arbeiten (zusätzliche Norm), da wollten wir auch einen Gottesdienst haben, da wir einen katholischen Pfarrer Andreas Wagner aus Zwiesel im Lager hatten. Da wir jahrelang ohne Religion, ohne biblische Gespräche waren, bestanden wir jetzt auf unsere Forderung. Es wurde genehmigt. Wir hatten ja genügend Handwerker, so wurde ein Altar gezimmert. Alles andere wie Kelch, Wein usw. wurde besorgt. Wir staunten sehr, die russischen Offiziere waren beim Gottesdienst anwesend und unser Lagerchor sang extra eingeübte Lieder. Es war ergreifend, nach so vielen Jahren wieder einmal Gottesdienst erleben und mitfeiern zu können. In diesem Sommer schwirrten so viele Gerüchte um Heimkehr umher, wir konnten es nicht glauben, waren wir doch zu oft enttäuscht.

 

Anfang Oktober 1948 war tatsächlich eine Kommission aus Moskau im Lager und untersuchte für den letzten Heimtransport in den nächsten Jahren. Wir kamen von der Baustelle zurück und wollten auch nicht zur Untersuchung. Dieses zur Schau stellen und dann die höhnischen Bemerkungen wollte ich nicht mehr hören. Etwas Stolz hatten wir auch noch! Mein Nachbar war bei der SS gewesen und hatte vorläufig überhaupt keine Aussichten heim zu kommen, doch mich hat er überredet noch zu der Kommission zu gehen. Nun ich ging. Der Leiter dieser Kommission – ein Major aus Moskau – begrüßte mich. „Na Herr Möhle, wie geht es?“ Meine Antwort: „Nicht gut, krank!“ Erstaunen warum - nun ich brauchte nicht zu antworten. Der Lagerarzt im Rang eines Kapitän (Hauptmann) sagte zum Major „Lunge, Herz kaputt und Malaria“ Der Arbeitskapitän dazu „Möhle ist ein sehr guter Arbeiter, könnte nach Hause.“ Zumal ich noch Dystrophie war. Nur der Major schaute mich an „Was machen wir?“ Meine Antwort „Die Entscheidung liegt bei Ihnen.“ „Ich könnte Sie ja schicken, aber nur, wenn Sie dieses Papier unterschreiben!“ Nachdem ich dieses Schreiben durchgelesen hatte, konnte ich unterschreiben und „ja“ sagen. Der Inhalt war folgender:

 

  1. Ich bin ein Freund der Sowjet-Union.
  2. Ich habe nichts gegen die Bevölkerung.
  3. Auch werde ich zu diesem Schreiben immer stehen.

    „Also Möhle, Sie kommen mit in die Heimat.“ Glauben konnte ich es immer noch nicht, war ich doch schon so oft genug enttäuscht.

    Wir wurden neu eingekleidet in Steppjacken und Hosen, Unterwäsche einigermaßen brauchbar. Nachdem wir vor dem Transport schon einige Male zum Zählen antreten mussten, kamen einige Kameraden aus der Heimat: ich möchte doch den Eltern berichten und Grüße bestellen. Ich habe dieses versprochen und auch gehalten! Die Eltern von Heinz Fuest aus Hannover und Wilfried Heinecke aus Meyrum bei Peine. Die Freude war groß, konnte ich doch auch nur das Gute berichten.

    Nachdem der Transport zusammengestellt war, ging die Fahrt am 05.10.1948 von Dwiri aus los. Die Verabschiedung von der Bevölkerung war sehr herzlich, die Tränen liefen und wir bekamen kleine Geschenke. Aber wir verschenkten aus Freude was nur möglich war, es waren Kleinigkeiten.

    Auf der Fahrt wurde in den größeren Städten halt gemacht und neue Waggons mit Heimkehrern angehängt. Es war schönes Wetter. Die Fahrt ging am Schwarzen Meer entlang Richtung Norden, nach Rostow. Am Meeresstrand lag die russische Bevölkerung und sonnte sich! Die Türen in den Waggons standen weit auf - schon eine kleine Freiheit. Vor Rostow bekam ich wieder einen schweren Malariaanfall mit Schüttelfrost und hohem Fieber. Meine Bitte, an die Kameraden, sagt bitte nichts, sonst werde ich ausgeladen und ob ich dann die Heimat sehe? War nicht sicher. Es wurden immer wieder Kameraden von der G.P.U. herausgeholt, zum Verhör, wir haben sie nicht wieder gesehen.

    Die Fahrtstrecke war durch die Ukraine nach Brest-Litonks-Polen mit Ziel Frankfurt/Oder! Wir haben in Kasernen übernachtet, wurden gezählt und überprüft! Dann fuhren wir weiter durch Mitteldeutschland nach Erfurt. Unterwegs hatten wir ein Gefühl, das nicht zu beschreiben war. Wir hätten vor Freude weinen können, wir konnten es aber nicht. Zuviel lag hinter uns und so viele Kameraden haben wir nicht mitnehmen können. Die letzten Grüße wurden uns aufgetragen und dann war es aus. Unterwegs grüßten uns einige an der Bahnstrecke. Aber was uns erstaunte, überall arbeiteten Frauen. Die zerbombten Städte wurden langsam wieder aufgebaut. An einem Wochenende im Oktober 1948 kamen wir in Erfurt an. Unser Quartier war in der Nähe vom Dom. Hier wurden wir auch verpflegt. Die Fahrt wurde immer langsamer. Wir fuhren durch das Eichsfeld – Ahrenshausen war Endstation. Hier war die russische Zone zu Ende. Auf der Westseite waren die Engländer. So sind wir dann am 25.10.1948 über die Zonengrenze marschiert. Drüben standen schon die Busse, die uns in das Lager Friedland bringen sollten.

    Wir sind durch eine Öffnung des Grenzzaunes marschiert und wurden von englischen Wachmannschaften in Empfang genommen! „Wir sind frei, endlich in Freiheit nach so vielen Jahren.“ Im Stillen haben wir Gott für diese Gnade gedankt. Das Lager Friedland war aus Wellblechhütten (ehemals Truppenunterkunft) für uns nur für eine Nacht.

    Jetzt begannen von der englischen Seite die Verhöre und Untersuchungen. In Göttingen waren wir einen Tag, dann war mein Ziel ein Lazarett in Groß-Bülten bei Peine. Eine ehemalige Kaue auf einer Erz-Zeche. In Hannover war Zwischenstation. Wir wurden vom Roten Kreuz verpflegt. Brote wurden verteilt. Es sah aus wie Käse, nun darauf hatten wir großen Hunger. Die Enttäuschung war groß, es war Kürbis!

    In Groß-Bülten wurden wir natürlich wieder untersucht. Hatte ich doch eine schwere Dystrophie und Malaria, außer den Verwundungen und Herzrhythmusstörungen.

    In Groß-Bülten besuchte mich Ingrid aus Sorsum, meine Brieffreundin aus den Kriegsjahren. Ingrid war in der Nähe auf einem Bauernhof. Ihr Vater, Oberförster in Sorsum – jetzt ohne Dienststelle. Die Freude war sehr groß. Ingrid braucht mir Obst mit und ich hatte Schokolade für Ingrid. Nach so vielen Jahren haben wir uns wieder gesehen. Wir konnten nicht viel sagen vor innerer Bewegung und Freude.

    Anfang November konnte ich das erste Mal auf Urlaub nach Hause fahren. Die Freude war groß, doch ich musste mich erst langsam wieder an die Heimat gewöhnen. Vieles war anders – wir konnten so manches nicht verstehen!

Johannes Moehle  
Johannes Möhle  


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